A. Einführung
Das Thema einer verlässlichen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist spätestens seit 2015 wiederholt in den Fokus geraten.1 Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung für eine zeitgemäße Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durch eine audio-visuelle Aufzeichnung sind nicht wirklich neu.2 Noch in der letzten Legislatur wurden ein Entwurf für eine audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung3 und ein Antrag4 durch den Bundestag in seiner Sitzung vom 15.11.2019 abgelehnt.5
Auch die Literatur hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit der Thematik befasst und die Regelung des § 273 StPO als nicht mehr zeitgemäß6 und innerhalb Europas7 auch als „hinterherhinkend“8 bezeichnet. Dieser Kritik liegt zugrunde, dass sich das herkömmliche Hauptverhandlungsprotokoll bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten nur darin erschöpft, den formellen Gang der Hauptverhandlung wiederzugeben und die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich zu machen (vgl. § 273 StPO). Der Inhalt der Beweisaufnahme, die Einlassung des Angeklagten und die Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen werden im Protokoll grundsätzlich nicht wiedergegeben. Das Gericht und die anderweitigen Verfahrensbeteiligten fertigen als Gedächtnisstütze eigene Mitschriften. Das Mitschreiben des Inhalts der Beweisaufnahme ist nicht nur fehlerbehaftet und zwangsläufig unvollständig, sondern beeinträchtigt selbstredend die Wahrnehmung der mündlichen Bekundungen.9
Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, hat nunmehr das Kabinett einen Entwurf für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung vorgelegt.10
B. Inhalt des Regierungsentwurfes für ein Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung
Der nunmehr vorliegende Gesetzesentwurf schafft die gesetzliche Grundlage für die digitale Dokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten.
1. Tonaufzeichnung als Grundlage des Transkripts; § 271 Abs. 2 RegE-DokHVG
Der zentrale Punkt der vorgesehenen Regelung einer digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist in § 271 Abs. 2 Satz 2 RegE-DokHVG verankert. Er sieht neben einer digitalen Audioaufzeichnung der Hauptverhandlung auch eine automatisierte Erstellung eines elektronischen Textdokumentes, eines sogenannten Transkripts vor. Als Grundlage soll für die Erstellung dieses Transkripts eine Tonaufzeichnung dienen. Die ursprünglich noch im Referenten-Entwurf entsprechend der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag vorgesehene audio-visuelle Aufzeichnung ist aufgrund der massiven, nicht immer sachlich geführten, Kritik gegen eine Videoaufzeichnung, nur noch optional vorgesehen.11
2. § 273 Abs. 1 RegE-DokHVG
Die Vorschrift sieht vor, dass eine vorübergehende technische Störung der Aufzeichnung oder der Transkription den Fortgang der Hauptverhandlung nicht hindert. Die Hauptverhandlung kann in diesem Fall fortgesetzt werden. Hierbei handelt es sich selbstredend um eine Regelung, die auf Notfälle beschränkt ist und sie ist unter diesen Kautelen hinnehmbar.
3. § 273 Abs. 2 RegE-DokHVG
Eine dem eigentlichen Gesetzeszweck, nämlich den Verfahrensbeteiligten eine verlässliche Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung zu bieten, konträr zuwiderlaufende Regelung ist in § 273 Abs. 2 RegE-DokHVG beabsichtigt. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass in Fällen, in denen „die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit wegen der Gefährdung der Staatssicherheit nach § 172 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes oder einer Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person nach § 172 Nummer 1a des Gerichtsverfassungsgesetzes vorliegen“, das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss von Aufzeichnung und deren Transkription absehen können soll. Wieso gerade in diesen Fällen eine Aufzeichnung, die nur Grundlage eines Transkripts sein soll, einer verlässlichen Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung entgegenstehen soll, ist nicht einsichtig, zumal strafrechtlicher Schutz in § 353d StGB besteht und der Entwurf zudem vorsieht, dass zum Schutz von Zeugen technische Maßnahmen – etwa Stimmverzerrung – ergriffen werden sollen. Zudem ist auch der Zugriff auf die Dokumentation streng reglementiert.12 Eine Ausnahme von der Pflicht zur verlässlichen Dokumentation der Hauptverhandlung ist strikt abzulehnen. Neben den im Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen zur größtmöglichen Verhinderung von Missbrauch ist zudem im GVG mit § 174 Abs. 3 GVG mit der dort geregelten Schweigepflicht ein weiteres Instrument beabsichtigt, den Inhalt der Hauptverhandlung „zu sperren“.
4. § 273 Abs. 3 RegE-DokHVG
Der RegE-DokHVG sieht in § 273 Abs. 3 vor, dass für die Tonaufzeichnung und ihre Transkription nur Äußerungen in deutscher Sprache maßgeblich sein sollen. Nachdem die Audioaufzeichnung der Hauptverhandlung der automatisierten Erstellung des Transkriptes dienen soll und die Gerichtssprache gemäß § 184 Satz 1 GVG deutsch ist, ist die Regelung wohl nur so zu verstehen, dass das Transkript in Fällen, in denen Dolmetscher hinzugezogen werden, ausschließlich die Übersetzungen der Dolmetscher in die deutsche Sprache verschriftlicht werden. Ein Aufzeichnungsstopp für das Gesagte kann und darf damit nicht bezweckt sein. In Zweifelsfällen muss auch die Qualität der Dolmetscherleistung für die Verfahrensbeteiligten anhand der Tonaufzeichnung möglich sein.
5. § 273a RegE-DokHVG
Die Vorschrift des § 273a RegE-DokHVG regelt die Verwendung von Aufzeichnungen und Transkripten.
Nach Absatz 1 Satz 1 sind die Aufzeichnungen und die Transkripte als Dokumente zu den Akten zu nehmen. Aufzeichnung und Transkripte unterfallen als Aktenbestandteil – unter dem Vorbehalt des § 273b StPO-E – dem Akteneinsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten.13 Die Aufzeichnung und das Transkript unterfallen der Regelung des § 499 StPO. Kopien der Dateien, die die Aufzeichnung und das Transkript enthalten, sind unverzüglich zu löschen, wenn sie nicht mehr erforderlich sind.
Nach Absatz 2 Satz 1 soll die Verwendung der Aufzeichnung und des Transkripts grundsätzlich nur für Zwecke des Strafverfahrens zulässig sein.
6. § 273b RegE-DokHVG
Zugang zu Aufzeichnungen und Transkripten wird in § 273b einschließlich der Einsichtnahme und der Überlassung an Dritte geregelt.
Aufzeichnung und insbesondere das Transkript soll den Verfahrensbeteiligten als verlässliches, objektives Hilfsmittel möglichst schnell, abhängig von der technischen Machbarkeit, zur Verfügung gestellt werden, um den Verfahrensbeteiligten als Grundlage für präzise Vorhalte und zur Vorbereitung des Plädoyers und des Urteils zur Verfügung zu stehen.14 Aufzeichnung und Transkript sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, zur Verfügung zu stellen. Ein subjektiver Anspruch der Verfahrensbeteiligten, der das Gericht zwingen könnte, Unterbrechungsanträgen stattzugeben, folgt daraus gerade nicht.15
Die Form der Zurverfügungstellung von Aufzeichnung und Transkript richtet sich nach der Form der Gewährung von Akteneinsicht in elektronische Akten; § 273b Abs. 1 Satz 2 RegE-DokHVG.
Verletzte und andere in § 403 Satz 2 StPO genannte Personen können, wenn sie nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten werden, Aufzeichnung und Transkript nach jedem Verhandlungstag in Diensträumen unter Aufsicht einsehen (§ 273b Abs. 2 RegE-DokHVG).
Nach § 273b dAbs. 3 RegE-DokHVG dürfen Aufzeichnung und Transkript durch Verteidiger und Rechtsanwälte nicht den Mandanten überlassen werden.16 Zulässig ist es allerdings, dass der anwaltliche Vertreter dem Mandanten die Aufzeichnung vorführt und die Einsicht in die Transkripte gewährt. Auch die Weitergabe an Dritte zu Verfahrenszwecken ist selbstredend möglich.17 Die Vorschrift wird materiell-rechtlich flankiert durch § 353 d Abs. 4 StGB, der die Weitergabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen aus einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung unter Strafe stellen soll.
7. § 352 Abs. 3 RegE-DokHVG; Rekonstruktionsverbot
In der Diskussion um die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung war es seit jeher die Befürchtung der „Gegner“ einer solchen Dokumentation, dass durch die verlässliche Dokumentation dessen, was Zeugen und Sachverständige in der Hauptverhandlung gesagt haben, die Verfahrensbeteiligten anhand des dann existierenden Wortprotokolls die Revision betreiben könnten.18
In § 352 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 RegE-DokHVG wird nunmehr die formelle Revisionsrüge ausgeschlossen, wenn „lediglich Feststellungen oder Wertungen angegriffen werden, die dem Tatgericht vorbehalten sind“.
C. Fazit
Die geplante Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung soll zunächst bei den erstinstanzlichen Strafsenaten der Oberlandesgerichte pilotiert werden. Das ist eindeutig zu begrüßen, da insofern die erforderlichen Ressourcen aus Mitteln des Bundes zu Verfügung gestellt werden können. Erst mit Ablauf dieser Pilotierungsphase zum 01.01.2030 sind dann alle erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten verpflichtend zu dokumentieren.
Der Umstand, dass die ursprünglich geplante audio-visuelle Dokumentation als Grundlage für die Transkription nunmehr nur noch optional nach § 19 StPOEG den Ländern vorbehalten sein soll, ist bedauerlich. Eine Ton- und eine Bildspur als Grundlage für eine Transkription ist als Grundlage für das zu erstellende Transkript sicherlich das verlässlichste und beste Mittel.
Der Gewinn für das deutsche Strafprozesssystem, der durch eine Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung erzielt wird, ist so immens, dass auch die „kleine Medaille“ der Dokumentation mittels Tonaufzeichnung hinnehmbar erscheint. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass einzelne Bundesländer die Bild-Ton-Aufzeichnung „wagen“ und sich dann der Vorteil dieses Mediums erweisen wird.
Es ist zu wünschen, dass dieser Meilenstein für das deutsche strafgerichtliche System tatsächlich umgesetzt wird!